Vibrationsentdämpfung bei Blechblasinstrumenten.

Fragen und Antworten zu Übungsmaterial, Literatur und Aufführungspraxis,..
Diskussionen rund ums Horn,...
...

Moderatoren: Günther, sysadmins

Vibrationsentdämpfung bei Blechblasinstrumenten.

Beitragvon Beate_Pokorny » So 27. Mär 2016, 12:34

Liebes Forum,

Inspiriert durch einen Link aus dem zuletzt behandelten Thread ("Welches Horn habe ich?") stieß ich durch mein unkontrolliertes Surf-Verhalten im Netz auf ein angebotenes Doppelhorn - ich vermute chinesischer Produktion - dem folgendes Zertifikat beigefügt war:

Vibrationsentdämpfung.JPG
Vibrationsentdämpfung.JPG (125.67 KiB) 8471-mal betrachtet


Was könnt Ihr zu diesem Verfahren sagen und wie bewertet Ihr selbiges?

Bussi, BEATE :lol:
Benutzeravatar
Beate_Pokorny
 
Beiträge: 336
Registriert: Do 15. Jan 2009, 00:38

Re: Vibrationsentdämpfung bei Blechblasinstrumenten.

Beitragvon a.r.cor » So 27. Mär 2016, 18:15

Hallo Beate,

kenne dieses "Verfahren" nicht. In der Beschreibung steht u.a., daß bekannt sei,
"dass Blasinstrumente durch die Verarbeitung Eigenspannungen aufbauen und diese ein störungsfreies Schwingen verhindern" würden.
Überdies sei offensichtlich, daß "maschinell angefertigte Instrumente aus gezogenem Rohr einen schlechten Klang aufweisen bzw. schwer zu spielen" seien.

Mir (als Hornisten) ist solches nicht bekannt; im Instrumentenbau können bspw. zu kurze oder zu lange Stützen Spannungen/Druckpunkte erzeugen, die in der Regel nicht gewollt sind - ebenso ist ein Teil der Instrumentenbaukunst das Wissen bzw. die Erfahrung, wo genau (und wie) Stützen angebracht werden sollten.

Schlechtes "Resonanzverhalten" würde ich spontan für einen Konstruktions- oder Verarbeitungsfehler halten.
Erstaunlich, daß "so behandelte" Hörner einen größeren Tonumfang hätten - für meine laienhaften Pysik-Kenntnisse ist dies überraschend.
Bei meinen Instrumenten suche ich kein " völlig neues Spielgefühl" - daher werde ich wohl nicht als Kunde infrage kommen.

Viele Grüße, Achim
a.r.cor
 
Beiträge: 105
Registriert: Fr 9. Nov 2012, 12:00

Re: Vibrationsentdämpfung bei Blechblasinstrumenten.

Beitragvon Peter » So 27. Mär 2016, 23:38

ich kann mir unter Vibration-Entdämpfung nichtst vorstellen.
Manche sagen, dass ein gehämmerter Schall vorteilhafter wäre. Feststellen konnte ich das bisher nicht. Es scheint, dass durch das Hämmern der Schall dünner, härter und gespannter wird.
Allerdings habe ich bei alten Naturhörnern bemerkt, dass das Material relativ dick und weich ist/war.
Sie spielen sich sehr angenehm und weich. Das kommt möglicherweise daher, dass der Schall am Ende nach der Fertigstellung noch mal durchgeglüht wurde, um ihn zu entspannen.
Man sieht, das es verschiedene Meinungen gibt. Man kann das nur in einem Saal mit fachkundigen Hörern in der hintersten Reihe feststellen.
Vielleicht kann uns Engelbert Schmid etwas dazu sagen.
Benutzeravatar
Peter
 
Beiträge: 824
Registriert: So 3. Mai 2009, 23:26

Re: Vibrationsentdämpfung bei Blechblasinstrumenten.

Beitragvon Alex103 » Mo 28. Mär 2016, 11:02

Hallo,

ausgehend vom Patent des Ingenieurs und Kontrabassisten Gerhard A. von Reumont (1977) wird Vibrationsentdämpfung vor allen Dingen von Streichern diskutiert und angewandt. Durch Einbringung bestimmter Frequenzspektren und -abfolgen sollen so im Instrument, sprich Streichinstrument aus Holz, material- und verarbeitungsinduzierte, resonanzstörende Spannungen abgebaut werden. Also auch künstlich ein jahre- und jahrzehntelanges Einspielen simuliert werden, was ebensolche Eigenspannungen ebenfalls reduzieren könnte. Was bei Holz aufgrund der Struktur (Einlagerung von Lignin, ein Biopolymer, in die Zellwand, Festigkeiten abhängig von Faserrichtung längs und quer, sowie Feuchtigheit) und Fügung (Verkleben mit feuchtigkeitsempfindlichen Knochenleim) noch durch mögliches "Gleiten" der Materialphasen und so Abbau von Schubspannungen erklärt werden kann, erscheint bei Metallen mit ca 40-50 mal höherer Scherfestigkeit (Messing 310 N/mm2 vs Fichte mit 6-7) aufgrund der andersartigen Materialstruktur (atomar-kristalin) eher schwieriger. Aber auch dort wird es annscheinend praktiziert. Ob letztendlich aber eher Fügestellen "gelockert" werden vermag ich nicht zu beurteilen. Eine veränderte Materialstruktur bei Metallen ist aber sicherlich eher nur durch "brutalere" Methoden wie Wärmebehandlung und oder mechanische Bearbeitung (aka Hämmern) zu erreichen. Während Holznein Naturrohstoff ist, dessen nachträgliche Veränderung vielleicht von Vorteil wäre, sollte bei Metallen die erforderliche Sorgfalt zur Vermeidung von Nachteiligen Spannung jedweder Art durch entsprechende Materialvorbehandlung und Sorgfalt im Bau sicher gestellt werden.


Christoph
Alex103
 
Beiträge: 39
Registriert: Mi 5. Sep 2012, 07:58

Re: Vibrationsentdämpfung bei Blechblasinstrumenten.

Beitragvon Beate_Pokorny » Mo 28. Mär 2016, 12:47

Dann schon einmal an dieser Stelle lieben Dank Euch für Eure Beiträge :!:

Die Vibrationsentdämpfung (VED) ist in der Tat schon ein alter Hut, beschrieben in den 70gern von Prof. Gerhard A. von Reumont in seinem Buch: "Theorie und Praxis des Vibrationsentdämpfens zur Resonanzverbesserung bei Musikinstrumenten Beseitigung von Wolftönen und andere Regulierungsarbeiten"

In diversen Streicher- und Gitarren-Foren heiß und kontrovers diskutiert, geht man dort teilweise - wie beschrieben - davon aus, dass die aus erlesenen Hölzern gefertigten Instrumente je älter und bespielter sie sind, umso besser werden. Vor allem Klang und Ansprache sollen sich mehr oder minder, jedenfalls wahrnehmbar zum Positiven verändern.

Man kann also die Instrumente um diese Prozesse der Alterung und der Bespielung zu simulieren an entsprechende Gerätschaften für entsprechende Vergütung anschließen lassen, oder man erwirbt selbst so ein Gerät. Im Netz habe ich bei einem Unternehmen eines gesichtet, das bereits für ~ € 225,- erhältlich ist.

Bei Blechblasinstrumenten ist das "Phänomen des positiven Alterns" bisher auszuschließen. Auch vom Materialstatus ausgesehen müssen alle akustischen Artefakte bereits bei der Herstellung ausgeschlossen werden. Nachträglich lassen sich Materialspannungen nicht mehr verändern. Aus diesem Grunde werden, wie richtig beobachtet wurde, während der Fertigung die Schallbecher durchgeglüht, um Spannungen zu lösen.

Fakt ist: ich persönlich halte das auf dem betreffenden Zertifikat angepriesene Verfahren durchaus für eine para-wissenschaftliche Augenwischerei zur betrieblichen Gewinnmaximierung. Gerne bin ich bereit, meine Meinung ggf. zu ändern und selbiges an dieser Stelle kundzutun.

@Peter: Ich werde Engelbert Schmid diese Woche gerne einmal darauf ansprechen (man unterscheide übrigens: Musikhaus Erwin Schmid ist nicht gleich Engelbert Schmid). Für alle Interessierten, diese Woche sind die Mindelzeller Horntage mit dem alljährlichen Werkstattkonzert am Freitag. Es spielen vier hochklassige Dozenten (Hinterholzer, Lloyd, Myers und Zempleni).

Bussi, BEATE :lol:
Benutzeravatar
Beate_Pokorny
 
Beiträge: 336
Registriert: Do 15. Jan 2009, 00:38

Re: Vibrationsentdämpfung bei Blechblasinstrumenten.

Beitragvon Alex103 » Mo 28. Mär 2016, 15:04

Ich stimme Beate zu. Materialkunde und Instrumentenbau / Akustik ist ein spannendes Feld. Stefan de Laval hat sich in einer der letzten Horn Hang-out dahingehend geäussert, dass die in der Vergangenheit genutzen Yamaha Hörner sich nach 2 Jahren aufgrund fehlender/ anderer Behandlungsverfahren klanglich geändert hätten. Zur Information habe ich auch Links zu Artikeln zum sog. Kruspe-Metall als auch zu einer Unterschung von Schilke zu verschiedenen Materialien im Schallbecher einer Trompete angehängt.

http://dallasmusic.org/schilke/Brass%20Clinic.html

http://www.ipvnews.de/fileadmin/TextePD ... Metall.pdf

Was weis man eigentlich über die akustischen Eigenschaften von 100-200 Jahre alten Naturhörnern im Zusammenhang mit evtl. Alterung des verwendeten Materials ? Entsprechende Untersuchungen zu Ursachen und Veränderung bestimmter akustisch relevanter Materialeigenschaften wären sicher interessant sind mir aber bisher im Bereich Blechblasinstrumente nicht bekannt.

Ich selbst hatte mal in meiner früheren Zeit als Tubist eine Wiener-Tuba der Fa. Alexander von 1938, die, bei im Vergleich zu modernen Instrumenten etwas verminderter Tragfähigkeit aber gleicher Bauart und Mensur klanglich alles in den Schatten gestellt hat. Für mein jetziges Knopf Nr 14 aus den 30-er Jahren gilt ähnliches.

Also wie gesagt, besser richtige Materialwahl, handwerklich und akustisch korrekte Materialbehandlung und sorgfältiger Zusammenbau für ausgezeichnete Instrumente als eine wie auch immer einzustufende nachträgliche Kur zur "Heilung" von Schlamperein.



lg Christoph
Alex103
 
Beiträge: 39
Registriert: Mi 5. Sep 2012, 07:58

Re: Vibrationsentdämpfung bei Blechblasinstrumenten.

Beitragvon baba » Fr 15. Apr 2016, 07:49

Das genannte Verfahren sieht mir schon sehr nach musikalischer Wünschelrute aus.

Aber mir fällt da ein etwa 20 Jahre alter Artikel aus einer naturwissenschgaftlichen Fachzeitschrift ein (Nature? Ich find's gerade nicht.) Die Frage war da: Wie konnten Trompeter im Barock ihre Partien ohne die bei Nachbauten üblichen Grifflöcher spielen?

Antwort: Scheißinstrumente ;-) Moderne Instrumente sind perfekter als die alten. Sie verhalten sich dank glatter Rohre viel mehr so, wie es die Physik verspricht. Früher waren die Instrumente nur außen schön und innen ziemlich unregelmäßig. Dadurch entstanden mehr Verwirbelungen, mehr Obertöne und die Resonanzfrequenzen waren wesentlich schwächer ausgeprägt. Die Originale waren also ein ähnliches Russisches Roulette, wie es Hörner heute noch sind ;-) Kurz: Ein schlechtes Instrument macht die Intonation schwerer aber gleichzeitig flexibeler. Einem Trompeter würde ich das nicht erklären wollen (Äh? Was brauch ich da für ein Mundstück?), aber Hornisten sollten es instinktiv verstehen.

Kurz: Nach dem Essen Zähne *nicht* putzen und lieber Orangensaft oder Wein statt Wasser. Das Schätzchen bekommt dann zwar Falten aber eben auch Charakter.
baba
 
Beiträge: 25
Registriert: So 12. Aug 2012, 10:15
Wohnort: Vorderösterreich

Re: Vibrationsentdämpfung bei Blechblasinstrumenten.

Beitragvon Hödlmoser » Fr 15. Apr 2016, 10:45

baba:
Kurz: Nach dem Essen Zähne *nicht* putzen und lieber Orangensaft oder Wein statt Wasser. Das Schätzchen bekommt dann zwar Falten aber eben auch Charakter.

Aber viel schlimmer: Die Ventile bekommen Karies und werden in der Folge undicht! :twisted:
Liebe Grüße vom Hödlmoser
Hödlmoser
 
Beiträge: 367
Registriert: Mi 28. Jan 2009, 23:01
Wohnort: Oberösterreich

Re: Vibrationsentdämpfung bei Blechblasinstrumenten.

Beitragvon baba » Fr 15. Apr 2016, 11:30

Hödlmoser hat geschrieben:Aber viel schlimmer: Die Ventile bekommen Karies und werden in der Folge undicht!

Dagegen hilft Ballistol. Das Schweizer Messer der Öle ;)
baba
 
Beiträge: 25
Registriert: So 12. Aug 2012, 10:15
Wohnort: Vorderösterreich

Re: Vibrationsentdämpfung bei Blechblasinstrumenten.

Beitragvon Engelbert Hornist » Sa 8. Apr 2017, 11:41

Peter hat geschrieben:ich kann mir unter Vibration-Entdämpfung nichtst vorstellen.
Manche sagen, dass ein gehämmerter Schall vorteilhafter wäre. Feststellen konnte ich das bisher nicht. Es scheint, dass durch das Hämmern der Schall dünner, härter und gespannter wird.
Allerdings habe ich bei alten Naturhörnern bemerkt, dass das Material relativ dick und weich ist/war.
Sie spielen sich sehr angenehm und weich. Das kommt möglicherweise daher, dass der Schall am Ende nach der Fertigstellung noch mal durchgeglüht wurde, um ihn zu entspannen.
Man sieht, das es verschiedene Meinungen gibt. Man kann das nur in einem Saal mit fachkundigen Hörern in der hintersten Reihe feststellen.
Vielleicht kann uns Engelbert Schmid etwas dazu sagen.


Nach meiner Erfahrung gibt es zweierlei Vibrationen beim Horn oder anderen Blechblasinstrumenten, - zuerst mal die positive:
1. Allgemeine Vibration, die nichts mit akustischen Fehlern zu tun hat, sodass der Klang lebt. Dazu sollte das Horn keine überflüssigen Stützen haben, - wenn es akustisch ganz sauber gebaut ist.
2. Vibrationen, die von akustischen Fehlern herkommen, - leider sehr häufig. In diesem Fall können zusätzliche Stützen die Probleme etwas lindern, aber nicht lösen. Jedenfalls habe ich immer einen Weg gefunden, ungleich ansprechende Töne durch Untersuchung und Korrektur der inneren Mensur sehr nahe anzugleichen.
Engelbert Hornist
 
Beiträge: 21
Registriert: So 18. Nov 2012, 22:42

Nächste

Zurück zu WIENERHORN FORUM

Wer ist online?

Mitglieder in diesem Forum: Google [Bot] und 17 Gäste

cron