"Urtext" ist leider keine, in allen Einzelheiten exakte, Reproduktion wie etwa ein Faksimile.
Man versteht darunter, daß nach dem Autograph z.B. eine Partitur ausgearbeitet wird, die diesem soweit als möglich entspricht. Zusätze des Bearbeiters werden meist kursiv oder dünner eingefügt, "...Fehler wurden stillschweigend behoben...." (wie es immer so schön heißt) und Artikulations- oder Dynamikanweisungen auf entsprechende Parallelstellen übertragen oder auch teilweise als (erkennbare) Zusätze eingebracht.
Hat der Komponist das Original nur als Partitur geschrieben, so gibt es trotzdem heute Klavierauszüge als Urtext. Man findet das etwa bei Oratorien: Die Soli- und Chorstimmen sind einzeln notiert, darunter die Orchesterstimmen als Klavierauszug. Trotzdem nennt sich das dann "Urtext". Bei Orgelwerken findet man im Original meist keinen ausgeschriebenen Baß, sondern nur die Generalbaß-Bezifferung. In den modernen Ausgaben (auch Urtextausgaben) finden sich im Vorwort meist Anmerkungen wie "Generalbaß-Aussetzung von Herrn XY". D.h.: Herr XY hat die Bezifferung in richtige Noten umgesetzt. Trotzdem sind die Urtextausgaben meist besser als andere Bearbeitungen. Die meisten Musiker müßten sich auch sehr an das in früheren Zeiten übliche Notenbild gewöhnen und würden Faksimiles wahrscheinlich ablehnen. (Ich schließe mich da nicht aus!)