von herbstgetönter Hain » Di 22. Aug 2017, 14:05
Für mich wieder mal ein trauriges Beispiel dafür, wie man das Streben nach echter historisch informierter Aufführungspraxis ad absurdum führen kann.
In der Aufnahme sehen wir eine Jägertrompete (wahrscheinlich aus der Werkstatt Egger), statt des Mundrohrs wird ein kleines Zügchen aufgesteckt und mit einem Altposaunenmundstück versehen. Das also soll das ominöse „corno da tirarsi“ sein? Ein solches Instrument ist durch keinerlei Quellen belegt und daher wie Peter schon angemerkt hat reine Spekulation!
Vielleicht hilft uns ein Blick in die Noten? Vorweg ein wichtiger Hinweis: in der Originalhandschrift ist diese Horn(?)partie gar nicht enthalten, sie wurde erst später hinzugefügt als „corne du chasse“ (die Bezeichnung „corno da tirarsi“ konnte ich nicht finden)
Die Stimme ist klingend notiert, allerdings in d-moll, was möglicherweise auf ein in F gestimmtes Horn hindeuten könnte. Üblicherweise hat Bach aber die Instrumentalstimmen anders als Händel immer transponiert notiert. Die Textur der Stimme hat wenig Ähnlichkeit mit barocken Trompeten- oder Hornstimmen. Insbesondere die drei hintereinander folgenden Oktavsprung-Stellen ab T 41/42 e‘-e‘‘, dann f‘-f‘‘, zuletzt d‘-d‘‘ sind auf Naturtoninstrumenten nicht darstellbar.
Denkbar wäre evtl. die Verwendung einer historisch seit dem Mittelalter belegten tromba da tirarsi, welche auch Bach gelegentlich einsetzt. Auffällig ist allerdings, dass diese Partien meist nur colla parte mit dem Chorsopran laufen und technisch sehr einfach sind (vor allem Choräle). Dies lässt den Schluss zu, dass eine Zugtrompete wenig Virtuosität erlaubt – ganz im Gegensatz zur Posaune, die schon in der Renaissance atemberaubende Partien zugedacht bekam.
Kay Johannsen lässt in seiner Interpretation der Kantate 109 die "Horn"partie von einem Zinken spielen, was sehr schön klingt und historisch zumindest denkbar wäre. Bach hat Zinken allerdings nur in sehr frühen Werken eingesetzt.
Für mich wäre auch die Verwendung einer Oboe da caccia denkbar.
Bachs Instrumentationsangaben stellen uns mitunter vor gewisse Rätsel, ich rate davon ab, sich Antworten aus dem Buch „Die Blechblasinstrumente in den Werken J.S.Bachs“ zu erhoffen…