Villanelle Aufführungspraxis

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Villanelle Aufführungspraxis

Beitragvon Lupus Cornum » Mo 18. Jun 2018, 07:39

Hallo liebe Hornisten,

bei der Villanelle steht ja an einigen Stellen, dass man ohne Ventile spielen solle - allerdings hält sich kaum jemand daran. Dennis Brain, Radek Baborak, Steve Park, Christoph Eß und eigentlich alle anderen, die ich auf Youtube gefunden habe, greifen.

Wie haltet Ihr das, wenn Ihr das Stück selbst spielt oder mit Schülern besprecht? Ist die Vorgabe, die Ventile zu ignorieren, lediglich eine zusätzliche Schwierigkeit in einem Stück, das als das musikalische Äquivalent einer Zentralabiklausur komponiert wurde und daher für eine anhörenswerte Aufführung eher hinderlich, oder sind die naturhornigen Töne tatsächlich ein Mehrwert?

Ich habe praktisch keine Erfahrung mit dem Naturhorn, finde aber die leichte Quäkigkeit vom angestopften F und den Wahwah-Effekt der H-C Bindung recht reizvoll... bis ich dann bei den längeren Läufen ankomme (einmal es-ges-as-b und später g-fis-f-e-es-c-v-as-g) und nach aktuellem Trainingsstand kein Land sehe, auch nur im richtigen Tempo die richtigen Töne zu spielen, von Intonation und Klangkontrolle ganz zu schweigen. Gegriffen wäre beides kein Problem, aber es erscheint mir auch falsch, einen Teil des Abschnitts sans pistons zu spielen und wenn es schwer wird aufzugeben.

Also, wie macht Ihr das, und kennt Ihr eine halbwegs moderne Aufnahme, bei der sich ein Hornist nach Herrn Thévet an die Aufforderung sans pistons hält?

Edit: Ha, Tuckwell! Die Frage, wie Ihr das macht, bleibt aber :)
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Re: Villanelle Aufführungspraxis

Beitragvon Peter » Mo 18. Jun 2018, 09:42

lieber Lupus Cornum, die Frage ist berechtigt. Du hast recht, dieses wundervolle Stück wurde von Paul Lukas 1906 für Absolventen des Conservatoire national supérieur komponiert. (übrigens ähnlich wie z. B. die Bozza- Stücke).

Dazu muss man wissen, dass in den neunziger Jahren des 19.Jahrhunderts in Paris eine Konferenz mit Hornisten, Komponisten, Kritiker und sonstige Personen über die Frage Naturhorn oder Ventilhorn stattfand. Die anschließende Abstimmung ging zu Gunsten des Naturhorns aus!
Dennoch wurde in Paris nur bis 1903 offiziell Naturhorn unterrichtet. Natürlich waren die Hornlehrer über letztere Entscheidung nicht ganz glücklich. Die Studenten mussten in ihren Abschlussprüfungen alle Spieltechniken zeigen: Ventilhorn, Naturhorn, metallische Stopfen ,Echo Dämpfen usw.

Ich bin mir nicht sicher, ob man das heutzutage auch noch so machen muss. Um nämlich diese Effekte wirklich gut zur Geltung bringen zu können, reicht es nicht sehr gut Horn spielen zu können sondern man muss auch die echte Naturhorntechnik beherrschen.

Du findest die "…die leichte Quäkigkeit vom angestopften F und den Wahwah-Effekt der H-C Bindung …" recht Ich finde dagegen, dass die hohe Kunst des Naturhornspielens diese Effekte vermeiden kann./Users/petersteidle/Desktop/P1160963.jpg Hornklasse 1895
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Re: Villanelle Aufführungspraxis

Beitragvon Peter » Mo 18. Jun 2018, 09:48

/Users/petersteidle/Desktop/[Conservatoire_national_de_musique]___[...]Roosen_Louis_btv1b84540547-2.jpg/Users/petersteidle/Desktop/P1160963.jpg

Hornklasse 1925
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Re: Villanelle Aufführungspraxis

Beitragvon Lupus Cornum » Di 19. Jun 2018, 08:05

Lieber Peter,

danke für die Antwort! Du sagst:
Ich finde dagegen, dass die hohe Kunst des Naturhornspielens diese Effekte vermeiden kann.

Kann man sie wirklich komplett vermeiden? Selbst Javier Bonets brillante Version des Weber Concertino ist nicht über alle Töne ausgewogen, und meiner Meinung nach gewinnt die Aufnahme des Brahmstrios mit historischen Instrumenten (Teunis van der Zwart am Horn) durch die einkomponierten Klangverschiebungen, die die Stopftechnik mit sich bringt, erheblich an Tiefe und Gesamtklang.

Ebenso finde ich die oben verlinkte Aufnahme der Villanelle mit Barry Tuckwell außerordentlich ansprechend, er spielt im wesentlichen so, wie ich es anstrebe.

Es kann aber auch wirklich gut sein, dass ich einfach nur zu viele Aufnahmen gehört habe/tief in der Materie drin stecke und daher mühelos wirkende Technik, die ich selbst nicht reproduzieren könnte, als schön wahrnehme, wohingegen ein normaler Konzertbesucher eine andere Erwartungshaltung an klangliche Ausgewogeneheit hat.
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Re: Villanelle Aufführungspraxis

Beitragvon Peter » Di 19. Jun 2018, 09:35

lieber Lupus Cornum,
es gibt mehrere Schulen des Naturhornspielens:
1 gestopft - offen
2 möglichst nur gedämpft

1 spielt alle nicht vorhandenen und nicht stimmende Töne komplett gestopft, also auch f2 und a2.

2 spielt möglichst nur gedämpft, also f2 nur ¼ "gestopft" und a2 ganz offen.

Ein Beispiel ist diese Aufnahme



In historischen Berichten wird immer wieder über den traumhaften Klang des Naturhorns berichtet.
Über Punto heißt es … er habe auf dem D-Bogen praktisch alles spielen können.
Der befreundete Kollege Peter Damm sagte mir,… dass er beim Anhören der Aufnahme von Stephan Katte zum ersten mal begriffen habe, warum die Menschen im 19. Jahrh. das Naturhorn so geliebt haben.
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Re: Villanelle Aufführungspraxis

Beitragvon Villanella » Di 19. Jun 2018, 20:11

Hallo zusammen,

meine Meinung dazu ist, dass man die Villanelle als "Normalsterblicher" (und v.a. als Schüler) auf dem modernen Doppelhorn getrost mit Ventilen spielen kann, und dass die Angaben sans/avec pistons nur dann sinnvoll und klanglich "authentisch" umzusetzen sind, wenn man auch ein annähernd zeitgenössisches Hornmodell verwendet. Die französischen Ventilhörner jener Zeit waren in punkto Mensur und Schallbecher noch sehr nah am klassischen Naturhorn, bzw. waren es oft tatsächlich Naturhörner mit einem einsetzbaren Ventilstock (sauterelle), wie man es auf diesen Fotos schön sehen kann:
http://www.rjmartz.com/horns/Millereau_022/
Aber da erzähle ich den meisten hier sicher nichts Neues, v.a. Peter nicht, der solch ein Horn in seiner tollen "Collection Vuillermoz" besitzt.

Das Bild von der Hornklasse 1895 stammt aus der neuen Henle-Ausgabe, oder? (Daraus spiele ich auch.) Hier findet man das Foto übrigens "im Original" und in besserer Qualität:
http://gallica.bnf.fr/ark:/12148/btv1b84541780
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Re: Villanelle Aufführungspraxis

Beitragvon Lupus Cornum » Do 21. Jun 2018, 16:20

Jo, danke für die Antworten! Ich werde mich dann wohl auch aufs greifen beschränken.

Der Vollständigketit halber: Die von Peter genannte Aufnahme von Puntos Konzert ist auch bei Youtube zu finden:
1. Satz
2. Satz
3. Satz
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