Schmalere Lippen zum Horn spielen vorteilhaft?

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Schmalere Lippen zum Horn spielen vorteilhaft?

Beitragvon kevin » Di 1. Jun 2010, 07:28

Liebe Hornisten,

Mich beschäftigt die Frage, ob es besser zum Horn spielen ist schmalere Lippen zu haben.
Oder ist die Lippenform unerheblich und man kann auch mit stärkeren Lippen problemlos
Hornist werden?
Hat jemand Erfahrung?
Soll man Schülern mit "dicken " Lippen vom Horn spielen abraten?
Für Erfahrungsberichte wäre ich dankbar.

Viele Grüße

Kevin
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Re: Schmalere Lippen zum Horn spielen vorteilhaft?

Beitragvon Peter » Di 1. Jun 2010, 08:22

Kevin, natürlich kann man auch mit kräftigeren Lippen das Hornspielen erlernen.
Ich selber habe ziemlich dicke Lippen. Die erste Schwierigkeit besteht darin, mit dicken Lippen den idealen Ansatz zu finden. (evtl. in die Unterlippe etwas einsetzen). Die zweite Schwierigkeit ist das kleine Mundstück. Wir haben zwar einen gewissen Spielraum bezüglich des Durchmessers - aber der ist begrenzt. (Innendurchmesser von 16,5 bis maximal 18,5 mm; ein zu großer Innendurchmesser ist zwar bequehm, lässt aber den Ton schwer und posaunig werden)
Hat man den bestmöglichen Ansatz und das bestmögliche Mundstück gefunden, kann man mit viel Fleiß und Geduld großartige Leistungen vollbringen. ich kenne viele Hornisten, die es mit kräftigen Lippen weit gebracht haben.

Nebenbei: Wichtiger als die Lippendicke sind die Zähne als Fundament. ein breiter Kiefer mit kurzen und geraden Zähnen ist ideal, besonders wenn er nicht zu viel vorgeschoben werden muss.

Aber! Bläser mit schmalen Lippen - und an dieser Erkenntnis führt kein Weg vorbei - haben es viel leichter.
Ich denke z.B. an Radek Baborak, Gerd Seifert oder an Peter Damm. Bei denen ist alles ideal: breiter Kiefer, kurze gerade Zähne und dünne Lippen.
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Re: Schmalere Lippen zum Horn spielen vorteilhaft?

Beitragvon Beate_Pokorny » Di 1. Jun 2010, 22:20

Hallo lieber Kevin! :)

Erst mal möchte ich mich Peters Beitrag weitestgehend anschließen, was er schreibt, hat Hand und Fuß.

Ich selber habe auch sehr volle Lippen und spiele mühelos im engagierten Laienmusiker-Bereich ganz vorne mit. Was das Mundstück und vor Allem dessen Innenrand betrifft, denke ich ganz persönlich etwas liberaler. Da kann schon mal im Extremfall bis 20 mm und vielleicht darüber hinaus gegangen werden, wichtig ist's dann halt den Mundstückbauer seines Vertrauens aufzusuchen, der einem mit Rat und Tat zur Seite steht. Ich selber blase mit 19 mm Innenrandweite und erreiche auch einen romantisch weichen Klang in allen Schattierungen.

Also, Schülern mit vollen Lippen das Hornspiel abzuraten, halte ich für verwerflich! Selbst wirklich gehandicapte (z. B. Contergangeschädigte) haben in der Vergangenheit gezeigt, was möglich ist. Denk doch mal an all die stark pigmentierten mit Afrikanischen Vorfahren, vorne dran der viel zu früh verstorbene Jerome Ashby von den NY Philharmonics, sie haben oft auch volle und wullstige Lippen und vermögen das Hornspiel hervorragend zu meistern!

Die Frage, ob man schlußendlich Berufshornist wird, sollte anhand ganz anderer Kriterien bemessen werden. Oftmals kristallisiert sich so etwas erst während oder nach des Studiums, denn schon oft sind unter entsprechender Anleitung aus unscheinbaren und zweifelhaften Kandidaten hervorragende Absolventen und Berufsanwärter hervorgegangen.

Nur Mut! Bussi,
BEATE :lol:
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Re: Schmalere Lippen zum Horn spielen vorteilhaft?

Beitragvon Altcorno » Mi 2. Jun 2010, 13:01

Ich stimme Peter zu, dass Hornisten mit schmalen Lippen eine bessere Ausgangsposition bei der Ausbildung haben. Durch guten Unterricht kann man aber vieles ausgleichen, so dass man auch als Hornist mit volleren Lippen jede Herausforderung meistern wird. Im absoluten Spitzenbereich hingegen mag sich die physische Prädisposition wieder auswirken.

In diesem Zusammenhang möchte ich auf das Buch von Krumpfer hinweisen (Methodischer Hinweiser für den Blechbläser-Pädagogen. Dort beschreibt er eine Vielzahl an physischen Voraussetzungen, die seiner Meinung nach für den Erfolg der Bläserausbildung erforderlich sind, so z. B. die Größe des Gaumens, die Ausprägung der Gesichtsmuskulatur, Ebenheit der Lippen, Zahnstellung.

Wendell Rider beschreibt in seinem Buch „Real World Horn Playing“, dass er als ehemaliger Solohornist einen Innendurchmesser von 18,5 mm bevorzugte. Es kommt seiner Meinung in erster Linie darauf an zu erreichen, dass die Lippen gut schwingen können. Der Nachteil der meisten weiten Mundstücke bestehe darin, dass diese für tiefe Hornisten konzipiert seien. Es gibt aber durchaus Hersteller, die weite Mundstücke für hohe Hornisten konzipieren.

Ich selbst verwende ein E. Schmid Nr. 12 als Allround-Mundstück, das auch am 103er noch akzeptabel ist. Das ist wohl eher ein Mundstück für tiefe Hornisten. Ferner ein Mundstück von Perantucci mit gleicher Bohrung und Durchmesser (18mm/4,6), das aber flacher ist, und damit weniger ‚euphonal’ auf dem B-Horn klingt. Man kann darüber hinaus, wie bereits angedeutet wurde, den Ton in gewissem Rahmen der Klangvorstellung angleichen.
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Re: Schmalere Lippen zum Horn spielen vorteilhaft?

Beitragvon Martin2 » Do 3. Jun 2010, 10:02

Hallo Kevin,

als erstes möchte ich mich meinen Vorrednern/innen mal anschließen.

Als Grundregel könnte man es so formulieren:
Dünne Lippen = kleinerer Randdurchmesser
Dickere Lippen = größerer Randdurchmesser

Aber: Die Erfahrung aus über 25 Jahren Unterricht mit Anfängern (die bei Null starten) zeigt natürlich auch Abweichungen!
Momentan habe ich einen Schüler, der zwischen den oberen Schneidezähnen eine ziemlich Lücke hat, dazu dicke Lippen (seinen Gaumen habe ich allerdings nicht ausgemessen... ;) ).
Mit einem 18,5mm innerem Randdurchmesser kommt er hervorragend zurecht.

Aber es gab auch schon Schüler, die trotz dicker Lippen auf einem 17mm Rand sehr gut zurecht kamen und solche, die trotz sehr schmaler Lippen ein großes Mundstück brauchten.

Tip: Bestelle zum Testen fünf oder mehr Mundstücke mit GLEICHEM RandPROFIL, aber unterschiedlichen RandDURCHMESSERN und probiere einfach aus. Wichtig ist, daß DU mit dem Mundstück zurecht kommst - nicht Dein Lehrer! Der kann Dir zwar Tips geben, aber nicht für Dich spielen!
Zurechtkommen meint: Gleich gutes Spiel in der Tiefe und Höhe (jeweils ohne besondere Kraftanstrengung und ohne jegliches Verkrampfen), schöner Ton, sauberer Anstoß, sauberes Legato auch über weite Intervalle usw.
Wenn Du dann die einzelnen Mundstücke miteinander vergleichst, wirst Du selbst sehr schnell merken, was gut für Dich ist und was nicht.
Es gibt Lehrer, die zwingen ihren Schülern dieses oder jenes Horn / Mundstück auf, nur weil sie selbst es benutzen. Sowas ist egoistisch und absoluter Nonsens, dazu fachlicher Irrsinn! Sollte Dein Lehrer solche Ideen haben, sage ihm strack heraus, daß er sie nicht mehr alle hätte. Die Gegebenheiten der Anatomie lassen sich nicht ändern und brauchen auch nicht geändert zu werden. Richtige Unterrichtsmethoden und richtiges Üben (und die passenden Übungen) bezüglich Ansatz / Tonbildung und vor allem viel Geduld und ein passendes Mundstück sind die Grundlagen für ein erfolgreiches Erlernen des Hornspiels. Das Material als solches macht nicht viel aus. Viel wichtiger sind die richtigen Lehrmethoden.
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Re: Schmalere Lippen zum Horn spielen vorteilhaft?

Beitragvon Peter » Fr 4. Jun 2010, 23:43

martin2, Du verschiebst das Thema sehr auf die Mudstückwahl..Ich will Dir da auch gar nicht widersprechen. Du schreibst:

"…: Bestelle zum Testen fünf oder mehr Mundstücke mit GLEICHEM RandPROFIL, aber unterschiedlichen RandDURCHMESSERN und probiere einfach aus. Wichtig ist, daß DU mit dem Mundstück zurecht kommst - nicht Dein Lehrer! Der kann Dir zwar Tips geben, aber nicht für Dich spielen!…"

Dieser Satz vermittelt mir aber den Eindruck, dass man Deiner Meinung nach ein Mundstück nach dem Gefühl aussuchen soll. Ich gebe Dir da auch in letzter Konsequenz recht, aber…

1. Das Horn kann sich nicht anpassen, aber der Bläser.
Es hat Versuche mit sehr großen Mundstücken gegeben, so dass man ähnlich wie bei einer Posaune oder gar einer Tuba mit den ganzen Mund spielen konnte. Erstaunlicherweise funktionierte das teilweise ganz gut. Damit man auch in der hohen Lage spielen konnte, verpasste man diesen Mundstücken eine enge Bohrung und einen bauchigen Kessel statt des Trichters (sie sehen wie Tulpen aus). Das Horn klang jetzt wie eine Posaune. (wertfrei gemeint. Eine Posaune kann sehr schön klingen, aber sie ist eben kein Horn. Probiert einmal mit einem richtigen Hornmundstück und einem Adapter auf einer Trompete oder auf eine Posaune zu spielen. Es klingt total anders.) Was will ich damit sagen:
Es gibt eben typische Hornmundstück-Eigenschaften, die man nur begrenzt seinen eigenen Gefühlen/Bedürfnissen anpassen kann.

2. Es kommt auf den Output an und erst in zweiter Linie auf den Input.
Was nützt mir ein bequemes Mundstück, wenn der Klang nicht tragend und hornmäßig ist? Für die klanglichen Beurteilung braucht man einen verlässlichen Freund/Kollegen/Lehrer.

3. Um ein Mundstück letztlich genau beurteilen zu können, muss man eine längere Zeit darauf spielen. (das gewohnte Mundstückrand-Bett muss zugewachsen sein und der neue Rand muss sich ein neues Bett einmassieren).

Martin2 schreibt weiter:
"…Es gibt Lehrer, die zwingen ihren Schülern dieses oder jenes Horn / Mundstück auf, nur weil sie selbst es benutzen. Sowas ist egoistisch und absoluter Nonsens, dazu fachlicher Irrsinn! Sollte Dein Lehrer solche Ideen haben, sage ihm strack heraus, daß er sie nicht mehr alle hätte. Die Gegebenheiten der Anatomie lassen sich nicht ändern und brauchen auch nicht geändert zu werden. Richtige Unterrichtsmethoden und richtiges Üben (und die passenden Übungen) bezüglich Ansatz / Tonbildung und vor allem viel Geduld und ein passendes Mundstück sind die Grundlagen für ein erfolgreiches Erlernen des Hornspiels. Das Material als solches macht nicht viel aus. Viel wichtiger sind die richtigen Lehrmethoden.…"

Dem letzten Satz kann ich zwar voll unterschreiben. Aber ansonsten muss man die Sache doch wesentlich differenzierter sehen. Den qualifizierten Rat zu einem bestimmten Mundstück oder/und Horn muss man einem guten Lehrer schon zu gestehen. Natürlich gibt es die von Martin geschilderten Fälle. Aber das ist auf der Hochschulebene eher selten.
Wie anfangs gesagt: Das Horn kann sich nicht anpassen, aber der Bläser.
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Re: Schmalere Lippen zum Horn spielen vorteilhaft?

Beitragvon Martin2 » Sa 5. Jun 2010, 07:07

Hallo Peter,

ich denke, im "Fall Kevin" geht es nicht so sehr um das, was an der Hochschule passiert, sondern um Sachen, die die Basis betreffen.
Ich halte es bei Schülern, die bei Null anfangen, folgend:
Zuerst einmal bekommen sie ein Mundstück mit 17,5 innerem Randdurchmesser. Nachdem sie die Grundlagen der Tonerzeugung kapiert und einen Tonumfang von etwa zwei Oktaven haben, merkt man ja sehr schnell, ob dieses "Standardmundstück" geeignet ist oder nicht. Dementsprechend wird dann ausgetestet. Natürlich ist ein guter Rat diesbezüglich nicht grundsätzlich abzulehnen. Aber der Schüler sollte sich (wenn er denn kann), möglichst früh seine eigenen Gedanken zu diesem Thema machen und ruhig selbst etwas experimentieren. (Kevin kann selbst denken, denn sonst hätte er hier nicht gefragt. Andere Schüler schlucken einfach ungefragt alles, was der Lehrer ihnen hinwirft.) Viele Lehrer sind einfach zu diktatorisch. Ich habe früher sehr gute Lehrer gehabt. Trotzdem habe hier und da Kontra gegeben, weil das, was die Herren vorschlugen, einfach nicht paßte.
Noch eine einfache Regel beim Mundstückkauf:
Randdurchmesser und -profil sollten auf den Bläser, alle anderen Komponenten auf das Horn abgestimmt sein. Dann klappts mit dem Ansatz und dem Klang.
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