Mich würde sehr Eure Meinung über den Sinn und die Art der Hand im Schalltrichter interessieren.
Ich nehme mir mal die Freiheit meine Ansicht dazu als Diskussionsgrundlage ins Netz zu stellen:
Die Hand im Schalltrichter
Zu den ungewöhnlichen Besonderheiten beim Horn gehört, dass der Bläser die rechte Hand in den Schalltrichter legt. Was hat das für eine Bedeutung? Nun, man kann mit Hand im Schallbecher den Ton/Klang modellieren. Diese Technik stammte aus der Zeit der ventillosen Hörner auf denen man ja nur Oberton-Reihen (entsprechend der Rohrlänge) spielen konnte. Es ging darum, die teilweise fremd klingenden Obertöne intonatorisch zu korrigieren und zusätzlich nicht vorhandene Töne zu ermöglichen. Auch kann der Klang dunkler oder heller schattiert werden. Angeblich geht diese Technik auf den böhmischen Hornisten Anton Joseph Hampel (1710 – 1771) zurück (zumindest ist diese Technik in seiner berühmten Hornschule zum ersten Male beschrieben).
Wie man in der Barockzeit die Korrektur der fremd klingenden Töne (z.B. den 11. und 13. Oberton) bewerkstelligte, ist nicht zweifelsfrei erwiesen. Die Möglichkeiten durch den Ansatz (Treiben oder Fallen lassen der Töne) sind besonders in der höheren Lage schwierig und begrenzt. Es gibt keine Belege für Tonlöcher oder Ähnliches. Es gibt aber bei Barockhörnern ein interessantes Merkmal. Stehen die Töne oberhalb des g2 ohne Hand einwandfrei oder verschwimmen sie? Stabilität in der höchsten Lage ohne Hand konnte ich bisher nur bei sehr engen Schalltrichtern (Jagdhörner) feststellen. (Das ging z.B. bei den Alexander-Kopien nach M. Leichamschneider (1718) und Johann Leonhard Ehe (1664 - 1724) aus der Collection Bernoulli, die wir 1959 -1964 für Aufnahmen für die Archivproduktionen unter August Wenzinger benutzten). Funktioniert das nicht - wie bei vielen heute gespielten Barockhörner/Hornkopien -, dann wäre das möglicherweise ein Hinweis für den Gebrauch der Hand im Schalltrichter vor Hampel. Oder ist gerade die Unstabilität besser für das Treiben oder Fallen lassen der Töne? Das c3 könnte dann allerdings nicht festlich glänzend, sondern nur “jaulend” gespielt werden, wie zum Beispiel bei den Trompes de chasse. Es ist daher meiner Meinung nach anzunehmen, dass die Hornisten schon vor Hampel mit der “…geballten Faust im Becher…” Versuche der Tonkorrektur unternommen haben.
Hampels Idee war nun, die Hand ständig in dem Schalltrichter zu belassen um diesen ein wenig abzudecken, was den Ton generell weicher (was dem klassischen Klangideal mehr entsprach) und etwa um 1/4 Ton tiefer tiefer werden lässt. Dazu bedurfte es eines größeren Schalltrichters (gewissermaßen den normalen Schallbecher um den Platz für die Hand vergrößert). Man konnte nun durch totales Öffnen der Stürze den 11. und 13. Oberton zu fis2 bzw. a2 treiben/erhöhen. Durch subtiles, variables Verschließen des Schalltrichters ist es möglich bis zu einem 3/4-Ton tiefer zu spielen. Das wird im Allgemeinen “Dämpfen mit der Hand” genannt.
Beim völligen Verschließen des Trichters springt der Ton ungefähr (je nach Hand- und Schalltrichtergröße) einen 1/2-Ton nach oben, wenn auch mit näselndem Klang - ein Effekt, der oft zur Verfremdung des Hornklanges eingesetzt wird (Tschaikowsky, Strauss, Mahler und sehr häufig in moderner Musik). Dieses ist das eigentliche “Stopfen”. Momentan nennt man aber den gesamten Bereich der Handtechnik im Schalltrichter “Stopftechnik”. Ich mag diesen Begriff nicht besonders und nenne es daher lieber “Modulationstechnik” der Hand im Schalltrichter.
Das Hampel’sche Horn wird Inventionshorn genannt. Der Begriff Inventionshorn soll sich angeblich von dem U-förmigen Stimmzug in der Mitte des Hornkorpus, in dem man auch andere (zylindrische) Stimmbögen einschieben kann, herleiten. Als Hornist schätze ich zwar die Möglichkeit der schnelleren Feinabstimmung (zuvor musste man diese mit kleinen Aufsatzrohrteilen - “Stickl” genannt - etwas umständlich bewerkstelligen). Dennoch erscheint mir diese Möglichkeit keine entscheidende Verbesserung, denn die üblichen Vorsatzbögen konnten mit speziellen Konus besser auf die Stimmungen (besonders auf die hohen und tiefen) justiert werden. Da sich für solistische Aufgaben nur die mittleren Stimmungen (von g bis d) eignen, stellt das Horn mit in der Mitte einschiebbaren Bögen einen gewissen Bequehmlichkeits-Vorteil für Solisten da. Die Franzosen nannten diese Instrumente dem entsprechend cor solo. Die entscheidende Verbesserung war aber sicherlich die Hampel zugeschriebene Handtechnik. Daher vermute ich, dass der Begriff Inventionshorn (inventio = Erfindung) sich in Wirklichkeit auf die Hampel’sche Modulationstechnik - der ständigen Hand im Becher - bezieht.
Die Modulationstechnik auf dem Inventionshorn wurde zur allerhöchsten Vollendung entwickelt. Man schätzte den weichen nuancenreichen Klang, der der menschlichen Stimme sehr ähnlich ist. Alle Hornkonzerte, Sonaten und Kammermusik der Klassik und fast alle der Romantik wurden für dieses Instrument komponiert. Als zu Beginn des 19. Jahrhunderts die Ventile erfunden und in Inventions-Hörnern eingebaut wurden, konnten diese sich zunächst nur schwer durchsetzen (am ehesten in der Unterhaltungsmusik oder bei Schumann, der das Ventilhorn bevorzugte). Man benutzte die Ventile anfangs nur zum schnellen Umstimmen (statt des umständlichen Bogenwechsels = omnitonische Horntechnik). Als man aber begann Ventilhörnern so zu gebrauchen, wie wir das heute kennen - also das Spielen mit ständigen Wechsel der Ventil-Griff-Positionen * - , lehnten sich viele Komponisten und Musiker dagegen auf. Berlioz schlug sogar vor, das Ventilhorn als ein neues, gesondertes - weil anders klingend - Instrument zu behandeln. Der Klang war eben nicht mehr so nuancen- und fassettenreich, sondern direkter und prosaischer. Brahms nannte gar Ventilhörner verächtlich “Blechbratschen”. In Frankreich wurde das Inventionshorn parallel zum Ventilhorn am längsten gespielt. Ravel’s Pavane in der Orchesterfassung von 1910 ist das letzte Beispiel einer Komposition für ein Naturhorn in G (cor simple). Es wurde sogar Ende des 19. Jahrhunderts (1891) in Frankreich eine Konferenz abgehalten um über die Frage Ventilhorn contra Naturhorn abzustimmen. Erstaunlicherweise ging diese Abstimmung knapp zu Gunsten des Naturhornes aus. Erst ab 1903 wurde der Naturhornunterricht am Pariser Conservatoire eingestellt.
Leider sind im Laufe der Zeit die vielseitigen Gestaltungsmöglichkeiten mit der Hand im Schalltrichter in Vergessenheit geraten. Wir haben zwar die Hand im Schalltrichter (muss aus akustischen Gründen sein - ohne Hand verschwimmen die hohen Töne ab g2 und engere Schalltrichter wie teilweise in der Barockzeit würden einen völlig anderen Klang produzieren). Man benutzt die Hand in der Regel nur noch zum “gestopft” oder “offen” spielen. Es wird Zeit, dass wir uns wieder der gesamten Palette von Möglichkeiten der Modulations-Technik erinnern, zumal das Inventionshorn wieder häufiger gespielt wird.
Von J. J. Alberti stammt, und zwar aus dem "Neuen Musikalischen Complimentierbuch" von 1806, folgender Absatz:
“…Um auf dem Waldhorn eine den Ohren wohlgefällige und einschmeichelnde Musik produzieren zu können, bedarf es gar mühereichen Fleißes. Gar leichtlich mag es doch geschehen, daß der Odem des beflissenen Bläsers sich in der ausnehmenden Länge des Tonrohres verirret oder die Gespanntheit seiner aufs künstlichste gestrafften Embouchure einem Einfall momentaner Lippenlähmung unterworfen wird. Dies all, ja die nicht aufs genauest getroffene Ballung der Faust im Becher bewirket, daß dem Instrument inmitten einer süßen Kantilena so grausame Mißgebilde von Tönen entspringen, daß es selbst den artigst lauschenden Angehörigen der gebildeten Stände größte Mühaufwendung erförderlicht, die sich zwangsmaßen herbeidrängende Lächerlichkeit zu bannen…”
* Mit der Erfindung der Ventile und dieser heute gebräuchlichen Spieltechnik war der Entwicklung immer kürzerer Hörner (“Die Angst des Tormanns beim Elfmeter”) der Weg bereitet. Es ist leider so, dass die heutigen kurzen Hörner (von B-alto bis Piccolo-B als einfache oder in Doppel/Trippelhörner eingebaut) extrem weit vom Klang und Wesen der “alten” Barock/Inventionshörner entfernt sind. Die aufkommende Mode, barocke, klassische und romantische Musik auf Instrumenten der Kompositionszeit zu spielen, ist daher mehr als berechtigt.